Die Sarazenin

Auf einem seiner Kreuzzüge lernte der Graf von Henneberg im Land der Sarazenen ein Mädchen kennen, das war so schön, wie er noch keines gesehen hatte. Er gewann es lieb, und da auch die Sarazenin ihm in Liebe zugetan war, lebten sie glücklich und zufrieden zusammen.

 

Sie hatten Geld, Geschmeide und Diener und konnten sich beide kaum ein schöneres Leben vorstellen. Doch blieb ihnen das Glück nicht hold. Der Graf musste mit den anderen Rittern nach Deutschland zurückkehren. So nahmen sie Abschied voneinander, versprachen sich aber in dieser Stunde ewige Treue, von der nur der Tod sie lösen könne.

 

Einige Wochen blieb die Sarazenin allein in ihrer Heimat, dann wurde sie Sehnsucht nach ihrem Liebsten so stark in ihr, dass sie ihr Pferd satteln liess, Geld und Geschmeide zu sich steckte und sich auf die Reise begab nach dem fernen Thüringen, wo irgendwo die Burg des Grafen stehen sollte. Sie gelangte auch richtig ins Werratal. Doch als sie am Städtchen Vessra vorbeiritt, hörte sie, dass überall die Glocken läuteten. So hielt sie ihr Pferd an und fragte einen Bauern, der auf seinem Feld arbeitete, was denn das Glockenläuten zu bedeuten habe.

 

Der Bauer schaute das fremdartige Mädchen verwundert an, nickte dann bedächtig und meinte, das würde sie doch nicht verstehen, denn wenn er recht sähe, sei sie nicht aus diesem Land. Die Sarazenin aber liess nicht ab zu fragen, und so erfuhr sie endlich, dass heute der Graf von Henneberg seine Hochzeit feiere. Kaum hatte sie das vernommen, als sich ihrer ein heftiger Zorn bemächtigte. „Hält so ein Ritter sein Wort?“ rief sie. „Dafür will ich mich rächen, und meine Rache wird furchtbar sein.“

 

Sie ritt weiter nach Vessra, stieg am Kloster ab und verlangte die Äbtissin zu sprechen. Vor ihr liess sie sich in die Knie sinken und sagte: „Ehrwürdige Frau, wenn wir auch nicht den gleichen Glauben haben, so seid Ihr doch auch ein Weib und werdet mein Leid verstehen. Sagt mir, was ich tun soll.“ Und sie erzählte, wie ihr geschehen war. Als sie dann geendet hatte und die Äbtissin noch keine Antwort gab, fügte sie leise hinzu: „Glaubt mir, dass es mich lockt, ihn zu töten. Wir Sarazenen haben stürmisches Blut und wir verzeihen ungern.“

 

Da schüttelte die Äbtissin den Kopf. „Töten wäre leicht, liebes Kind“, sagte sie, „ich gebe dir einen anderen Rat. Kleide dich in das Gewand einer Nonne und gehe zur Burg, wo der Graf seine Hochzeit feiert. Tritt zu ihm und lege ihm einen Dolch zu Füssen. Alsbald wird er dich erkennen und die Reue wird nach ihm greifen und ihm das Herz schwer machen.

 

Denn schlecht ist er nicht, ich kenne ihn gut, er hat nur einen leichten Sinn und vergisst schnell seine eigenen Worte. Wenn du ihn wiedergesehen hast, wirst du wissen, was für dich das Beste ist.“ Damit war die Sarazenin einverstanden. Sie zog das schwarze Gewand einer Nonne an und ging zur Burg, den Dolch fest in der Hand haltend, denn noch war sie nicht sicher, ob sie den Grafen nicht doch töten würde.

 

Wie sie ihn aber sah, der da fröhlich und strahlend neben seiner Braut sass und mit den Rittern scherzte, kehrte die Liebe übermächtig in ihr Herz zurück, und sie brachte es nicht über sich, mit einem harten Wort oder mit einer schnellen Tat die Freude zu verjagen. Sie ging nicht einmal zu ihm, sondern blieb in der Tür stehen, und als sie ihn lange genug angesehen hatte, nahm sie den Dolch, stiess ihn in die Türfüllung und eilte zum Kloster zurück.

 

Dort bat sie die Äbtissin, dem Kloster als Nonne beitreten zu dürfen, und diese Bitte wurde ihr sogleich gewährt. Tage nach der Hochzeit aber fand der Graf von Henneberg den Dolch der Sarazenin in dem Türpfosten stecken. Er ahnte sogleich, was geschehen war, und schickte Boten aus, die die Fremde suchen sollten, doch niemand fand sie und sie blieb verschollen. Der Graf von Henneberg aber nahm in sein Wappen das Bild der schönen Sarazenin auf, als Erinnerung an sie, der er Treue geschworen und die er so schnell vergessen hatte.

 

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